Lieferengpässe bei Arzneimitteln bedeuten Mehraufwand für Ärzte und Apotheker

Bei der Strategiesitzung des Vorstandes im Januar hat Dr. Björn Schittenhelm in einem vielbeachteten Vortrag über Probleme und Lieferengpässe bei der Arzneiversorgung in Deutschland gesprochen. Er ist selbst Apotheker und Vorstandsmitglied der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und kann so die Situation der Apotheken aus verschiedenen Perspektiven beurteilen. Sein wenig optimistisches Fazit war, dass sich Deutschland von der Apotheke der Welt zur dritten Welt der Apotheken entwickelt.
Bei jeder 3.-4. Verordnung entsteht Mehraufwand
Aus der Praxis mit einem Rezept in die Apotheke nebenan und dann mit dem verordneten Medikament nach Hause. So wünschen es sich Ärzte, Apotheker und Patienten gleichermaßen, nur leider scheinen diese Zeiten vorbei zu sein. Jede dritte bis vierte Verordnung kann heutzutage nicht so ausgegeben werden wie verordnet. Das bedeutet, die verordnete Wirkstärke ist nicht verfügbar oder gleich das komplette Markenpräparat. In vielen Fällen kann der Apotheker selbst Abhilfe schaffen, etwa indem ein Präparat mit halber Wirkstärke abgegeben wird verbunden mit dem Hinweis statt einer Tablette zwei davon zu nehmen. Das ist natürlich mit einem zeitlichen Mehraufwand verbunden, der nicht vergütet wird und zugleich geht die Zahl der Apotheken zurück. Und damit ist es nicht immer getan. Bei jeder fünften Verordnung muss der Apotheker entweder Rücksprache mit der Praxis halten oder ‘auf die Suche gehen‘. „Das kann einige Zeit in Anspruch nehmen und führt nicht immer direkt zum Erfolg. Chronisch Kranken empfehle ich daher einen Medikamentenvorrat von einem Quartal, um Lieferengpässe zu überbrücken“, so Dr. Schittenhelm.
Generika stehen für 80% der Verordnungen, aber nur 13% der Kosten
Als wichtigen Grund für Engpässe bei der Arzneiversorgung nannte er die extreme Konzentration der Arzneiherstellung vor allem in Indien und China. So kann es beim Ausfall eines einzigen Werkes oder der Schließung des Suezkanals ganz schnell zu Lieferengpässen kommen. Einen Hauptgrund dafür sieht er in den Rabattverträgen, die vor rund 20 Jahren eingeführt wurden. Im Laufe der Zeit sind die Preise für Generika derart abgesenkt worden, dass nur wenige Hersteller verbleiben sind oder im Vertrieb andere Länder mit höheren Margen bevorzugt werden. Was einmal ein vernünftiger Ansatz gewesen sein mag, hat sich im Laufe der Zeit verselbstständigt und macht heute keinen Sinn mehr. Generika machen heute rund 80% der Verordnungen aus, stehen aber nur für 13% der Kosten. Selbst Krankenkassen wie die TKK würden bei vielen Generika gerne einen etwas höheren Preis zahlen, um die Versorgung und eine Herstellung in Europa zu sichern, durch die Pflicht zur Ausschreibung müssen sie jedoch das (scheinbar) billigste Angebot nehmen. Darauf wies der TKK-Chef Dr. Jens Baas jüngst im Ökonomie-Podcast bto hin. Auch Ärzte und Apotheker appellieren immer wieder an die Politik, für eine Stabilisierung der Versorgung bei den Basis-Arzneien zu sorgen.
Beim E-Rezept unbedingt die Komfortsignatur nutzen
Einen weiteren wichtigen Hinweis zur Arzneiverordnung via E-Rezept gibt Dr. Schittenhelm an die niedergelassenen Ärzte. Patienten gehen häufig direkt nach Verlassen der Praxis zur nächstgelegenen Apotheke und wollen ihr Rezept einlösen. Das ist jedoch nur möglich, wenn der Arzt die sogenannte Komfortsignatur aktiviert hat und damit das Rezept sofort mit der Ausstellung auf der Versichertenkarte abrufbar ist. Ist stattdessen die Stapelsignatur aktiv und in der Praxis werden alle ausgestellten Rezepte erst am Ende der Sprechstunde gesammelt signiert, dann müssen die Patienten die Apotheke erstmal ohne ihr Medikament verlassen. Die Komfortsignatur ist sehr einfach zu aktivieren, die Gematik hat dazu eine kleine Handreichung erstellt, die wir hier verlinken.
Die Digitalisierung ist noch eine große Baustelle
Die gesamte Digitalisierung des Gesundheitswesens liegt Dr. Schittenhelm sehr am Herzen und hier sieht er noch großen Veränderungsbedarf. So wird die elektronische Patientenakte noch viel zu selten eingesetzt und dann werden oftmals nur Befunde oder Diagnosen als pdf hinterlegt statt mit strukturierten Daten. Bei einer umfangreicheren Akte wird so das Lesen der einzelnen Dokumente zu einem schier unüberwindlichen Hindernis. Moderne Praxissoftware ist in der Lage, die Daten strukturiert auf die elektronische Patientenakte zu übertragen. Immer wieder hört Dr. Schittenhelm dann das Argument, dass die eigene Praxissoftware dies nicht leisten könne oder man die Programme nicht vollumfänglich bedienen könne. Zu Beginn war das für ihn noch nachvollziehbar, aber heute will er diese Einwände nicht mehr gelten lassen.
Wearables als Helfer bei der Prävention?
Die schleppende Digitalisierung sieht er auch als Hemmnis, die Fülle an Daten aus dem Konsumentenbereich sinnvoll zu nutzen, etwa für die Prävention. „Heute gibt es bereits eine Vielzahl an sogenannten Wearables, die rund um die Uhr Messwerte erheben, etwa Puls, Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung im Blut, Schlafrhythmen, Blutzucker, Blutdruck und vieles mehr. Die bekanntesten sind die Fitnessuhren, aber auch Trackingringe, Einlegesohlen, Westen mit Sensoren oder spezielle Brillen. Die einzelnen Messungen mögen nicht immer präzise sein, in ihrer Gesamtheit sind sie aber gute Frühindikatoren und damit wertvolle Helfer bei der Prävention. Dieses Potential sollten wir stärker nutzen“, so Dr. Björn Schittenhelm.
Wenn Sie sich intensiver mit dem Thema Wearables beschäftigen wollen, so können Sie das etwa auf der Webseite der Gesundheitsmesse MEDICA tun.
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