Klinische Studien belegen den Nutzen des „TÜV“ für die Nerven

An der medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg wurde in den letzten fünf Jahren ein völlig neuartiges Verfahren zur präzisen Messung von Nervenschäden in den Extremitäten entwickelt. Mit hoher Genauigkeit kann dieser „TÜV für die Nerven“ Nervenschäden bei Patienten mit Diabetes vorhersagen. Darüber hinaus auch kognitive Beeinträchtigungen, etwa bei Demenz. Leiter der Studien war Prof. Dr. Peter Mertens, der Direktor der Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie in Magdeburg. Mit ihm haben wir über die Ergebnisse und die Nutzung der Methode im Versorgungsalltag gesprochen.
Spielerisch zur Diagnose
Ausgangspunkt der Studien war die Erkenntnis, dass klassische Testverfahren wie die Stimmgabel für die Ärzte einen hohen Zeitaufwand bedeuten und die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit als Goldstandard nur die großen Nervenfasern testen und zu selten eingesetzt wird. Die Arbeit des Studienteams zielte darauf ab, ein einfaches und zugleich valides Testverfahren zu entwickeln, das vom medizinischen Personal ohne Anwesenheit eines Arztes eingesetzt werden kann. Was liegt da näher als von Videospielen zu lernen, bei denen beispielsweise ein virtueller Ballon mit Geschicklichkeit durch die Druckverteilung in den Füßen über eine Landschaft zu manövrieren. Anders als bei klassischen Tests werden hier mehrere Qualitäten berücksichtigt, u.a. Kraft, Sensibilität und Koordination. Die Studien haben dann sehr valide Ergebnisse gezeitigt, die mit einer Messung der Nervenleitgeschwindigkeit abgeglichen wurden, die gemessenen kognitiven Fähigkeiten wurden anhand des Montreal Cognitive Assessment Tests überprüft.
Einlegesohle misst Druck und Bewegung der Fußsohlen
Der Testaufbau ist einfach. Die Patienten ziehen ein Paar offene Schuhe, sogenannte Pantoletten, an, die Einlegesohlen darin sind mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet. Wichtig ist hier die passende Schuhgröße, damit die Sensoren exakt am entsprechenden Bereich der Fußsohle aufsetzen. Die Patienten sitzen am Tisch, vor sich ein Tablet und Kopfhörer auf den Ohren. Zunächst erfolgt eine kurze gesprochene Anleitung, anschließend startet das Spiel und die Testpersonen werden durch Audiohinweise geführt. Eine Aufgabe kann es etwa sein, einen Ballon durch einen Parcours zu bringen. Gesteuert wird mit den Füßen, soll der Ballon aufsteigen, ist der Druck zu steigern, bei dem Absteigen zu entlasten. Bei einem weiteren Spiel werden Äpfel, die von Bäumen herunterfallen durch einen Wagen aufgefangen, der unter diese zu positionieren ist. Die Steuerung des Wagens erfolgt durch den rechten und linken Fuß, die Äpfel wachsen an zwei Bäumen links und rechts heran und sind so erkennbar. Die Aufgabe besteht darin, den Druck so einzustellen, dass der Wagen genau an der Position verbleibt.
Der Test funktioniert bei allen Patientengruppen
12 Minuten dauert der Test, für die Patienten ist es unterhaltsam und funktioniert auch sehr gut bei alten Menschen und sogar bis hin zu mittelschwerer Demenz. Und damit es auch sehr gut reagierenden Patienten nicht langweilig wird, haben die Forscher einen „Turbo“ entwickelt. Werden in den ersten Minuten alle Aufgaben präzise gelöst, erhöht das Spiel seine Geschwindigkeit, um den Anreiz zu erhalten. „Die sensible Messtechnik mit vielen Sensoren und eine KI-unterstützte Auswertung könnte Routineuntersuchungen erleichtern und durch maschinelles Lernen immer präziser werden,“ davon ist Prof. Mertens überzeugt. Schon heute konnte dieser Test mit 90-prozentiger Genauigkeit bestimmen, ob ein Proband in den letzten zwei Jahren gestürzt war. Schon bald soll diese retrospektive Betrachtung auch prospektiv möglich sein.
Zügiger Transfer in den Versorgungsalltag
Ende letzten Jahres drei Studien abgeschlossen und hochrangig publiziert. Nun arbeitet das Forschungsteam um Prof. Mertens daran, den „TÜV für die Nerven“ im Versorgungsalltag zugänglich zu machen. Dazu wird der Test, der während der Studienphase nur in der Universitätsklinik durchgeführt wurde, nun auch in einer anderen Klinik, einer Diabetespraxis und einem Seniorenheim eingesetzt. Parallel arbeitet man mit Unternehmen an der Lizenzierung und der Ausarbeitung eines markttauglichen Produktes. Die Einführung ist für Mitte 2026 geplant. Neben dem Einsatz in Kliniken oder großen Praxen kann sich Prof. Mertens auch ein Dienstleistungsprinzip vorstellen. „Optimal wären etwa die podologischen Praxen mit ihrem großen „Fuß-Klientel“. Die Begleitung der Testpersonen erfordert keine spezifischen Qualifikationen und bei guter Organisation könnten sicher 50 Patienten am Tag getestet werden,“ ist Prof. Mertens überzeugt. Noch gibt es keinen Marktpreis für den Test, erwartet werden Kosten von 40 bis 50 Euro. Auf diesem Niveau wäre neben der Kostenübernahme durch die GKV auch eine IGL-Leistung gut vorstellbar. Die Kontaktdaten zur Studiengruppe finden Sie hier.
Das Foto wurde uns freundlicherweise von Prof. Mertens zur Verfügung gestellt.
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